Gruß von Konstantin Wecker

Liebe Freundinnen und Freunde, ich kann leider nicht persönlich zur Anti-SiKo-Demo kommen, sende Euch aber von Herzen solidarische Grüße!

in den letzten Monaten ging es mir wie Heinrich Heine, der in seinen „Nachtgedanken“ im Exil dichtete: „Denk ich an Deutschland in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht.“ Die unmenschliche Barbarei der neuen und alten Nazis auf der Straße wie in Chemnitz, aber auch der deutschen Regierung und der EU im Umgang mit Flüchtlingen macht mich extrem wütend: Es ist eine Bankrotterklärung für unsere Gesellschaft, wenn allein in den letzten Monaten tausende Kinder, Frauen und Männer auf der Flucht vor Hunger, Krieg, Folter und Umweltzerstörung im Mittelmeer ertrinken oder in den Wüsten Afrikas verdursten mussten. Anstatt Leben zu retten, kriminalisieren die Regierenden die Seenotretter.

Doch die letzten Wochen und Monate haben mir auch wieder Mut gemacht, weil so viele Menschen auf die Straße gehen für die Solidarität mit Geflüchteten und gegen Faschismus.

Ich bin groß geworden mit dem Satz „Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen!“

Es ist für einen Künstler unglaublich wichtig zu erleben dass man Mut machen kann, all jenen, die jetzt glauben, der Zug sei eh schon abgefahren und man könne ja doch nicht mehr bewirken.

Stoppen wir den Zug der Unmenschlichkeit!

Ermutigen wir uns!

2018 hab ich wieder einmal das Grab meines Liedfreundes Willy besucht und ihm meine Sorgen mitgeteilt. Darin heißt es:

Neoliberalismus heißt diese Monster, das es geschafft hat uns einzureden, dass wir all das aus freiem Willen tun, was das Monster mästet, was dieser Hydra immer wieder neue Köpfe wachsen lässt und damit einen kleinen Prozentsatz der Menschheit immer reicher und gieriger macht und alle anderen in tiefste Verunsicherung, Verarmung, Verzweiflung stürzt.

Die europäische Kolonisation erfasste die gesamte Welt und stellt eine einzige „Grenzüberschreitung“ der Außengrenzen anderer Länder dar.

Und jetzt rufen ausgerechnet wir nach strikter Wahrung und Sicherung unserer Außengrenzen – nachdem wir über Jahrhunderte das Gefüge der Welt aus dem Lot gebracht haben… Bei all dem berufen wir uns gebetsmühlenartig auf unsere „christlich-abendländischen“ Werte – die nota bene allesamt orientalischer Herkunft sind. Jedenfalls wüsste ich nicht, dass die Bibel und das Neue Testament in Tübingen, Gelsenkirchen oder Straßburg geschrieben wurden.“

Vielleicht erscheint der Widerstand vielen sinnlos. Und mancher mag sich sagen: „Was kann ich denn schon tun, alleine, ohne Gleichgesinnte?“ Denen gilt es nun Mut zu machen, denn die mit dem Herzen denken sind – und da bin ich mir sicher – immer noch in der Überzahl. Aber schrecklich verunsichert und vor allem: nicht annähernd so lautstark.

Nach wie vor glaube ich, dass eine spirituelle Revolution am Wachsen ist, und mir kommt dieses ganze Machogehabe verunsicherter Männlein wie Trump, Erdogan, Putin, Kim, Orban, Gauland, Strache, Kurz und Söder und wie sie alle heißen mögen wie das – hoffentlich! – letzte große, fast verzweifelte Aufbäumen des Patriarchats vor.

Nicht jeder, der jetzt begeistert den Neofaschisten, Identitären und Nationalisten hinterherhechelt ist ein Nazi. Aber: sie haben sich in ihrer zunehmenden Blindheit die Nazibrille aufsetzen lassen von den Höckes und Straches und Salvinis und Le Pens.

Lassen wir uns von ihnen nicht ins Bockshorn jagen. Lassen wir uns nicht verführen von den sogenannten „Führern“.

Widerstehen wir mit all dem, was uns als menschlichen Wesen gegeben ist an Mitgefühl und Verstand, Poesie und Zärtlichkeit!

Gestern habns an Willy daschlagn, aber heit halt ma endlich zamm.

Konstantin Wecker

Mit herzlichem Gruß